Freitag, 15. Oktober 2010

„Hätte ich die Medien!“ - Geisteswissenschaften in der digitalen Erlebnisgesellschaft. Ein Workshop-Besuch an der FU Berlin (von Antje Paul)

Am 14. Oktober 2010 trafen sich im Rahmen eines Workshops des Dahlem Humanities Centers der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem Institut für Kultur- und Medienmanagement hochrangige Vertreter aus Wissenschaft und Medien, um vor einem öffentlich zugänglichen Auditorium über den Verbleib und die Anschlussfähigkeit der Geisteswissenschaften in den Medien zu diskutieren. In zwei Runden ging es um das neu zu bestimmende Verhältnis von Geisteswissenschaften und Medien sowie mögliche Medienstrategien für die Geisteswissenschaften.

Die Veranstaltung war der Auftakt zu einer durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Workshop-Reihe, die das DHC unter dem Leitbegriff Wissenschaft – Praxis als Format etablieren möchte. Ihr erklärtes Ziel ist es, dem wechselseitigen Transfer zwischen Universitätsforschung und Praxis neue Impulse zu verleihen.
Hintergrund zu dem Veranstaltungstitel „Hätte ich die Medien!“ ist das schwächere Echo der Geisteswissenschaften gegenüber Natur- und Ingenieurswissenschaften in der breiten Öffentlichkeit. Die mediale Aufbereitung und Kommentierung geisteswissenschaftlicher Forschung bliebe trotz internationalem Renommee oft aus.
Meine persönliche Erwartung an das Thema schloss eine Reflektion über das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften in die Diagnose mit ein. Da ich als Theaterwissenschaftlerin und Germanistin selbst zu dieser Zunft zähle, versuchte ich mich bereits im Vorfeld zu verorten. Stichworte wie Relevanz, Wahrheit, Aufklärung und Beschreibung von Welt bündelten sich in meiner Erwartungshaltung zur allgemeinen Zielsetzung eines medienvermittelten Wirkens der Geisteswissenschaften im öffentlichen Diskurs - ein betont idealistischer Ansatz, für den ich mich hier nicht entschuldige, wie es heutzutage üblich ist und auch im Workshop getan wurde.
Ein Blick in die Lebensläufe der Referenten zeigt, was auch im Workshop als Widerspruch aufgenommen wurde: Die Medienmacher haben fast immer einen geisteswissenschaftlichen Background. Diejenigen in führenden Positionen oft mit einem Doktortitel. So z.B. der anwesende Prof. Dr. Ernst Elitz, Gründungsintendant des Deutschlandradios, Dr. Ulf Poschardt, Gründer der deutschen Vanity Fair und aktueller Chefredakteur der Welt oder Dr. Sigrid Löffler, Publizistin und Literaturkritikerin. Diese Chef-Redakteure, Intendanten, Regisseure und Verläger arrangieren die Medieninhalte, in denen geisteswissenschaftliche Themen offenbar unterrepräsentiert sind. Ihnen gegenüber sitzen Wissenschaftler verschiedener Bereiche wie Romanistik, Theaterwissenschaft, Geschichtswissenschaft und Archäologie, die vor allem lehren, forschen und für ein Fachpublikum publizieren. Mit Ausnahme des Archäologen Prof. Dr. Hermann Parzinger, der neuerdings eine Doppelexistenz als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz führt. Hier zeichnen sich zwei unterschiedliche Charaktere ab: Polemisch formuliert sind das zum einen der im hermetisch-elitären Raum des wissenschaftlichen Elfenbeinturms verbleibende Intellektuelle und der um die für den ökonomischen Erfolg notwendigen Spielarten der öffentlichen Selbstdarstellung wissende public intellectual.
Meine Erwartungen gegenüber dem Workshop wurden in vielerlei Hinsicht enttäuscht. War es vermessen oder naiv anzunehmen, mich mit Themen und Argumenten identifizieren zu können? Die verschiedenen Perspektiven führten weniger zu einem fruchtbaren Diskurs, der auch das enorme Kommunikationspotential neuer Technologien und damit die Vernetzung von Wissenschaft einbezieht, als vielmehr zu einer Abbildung des herrschenden Dilemmas komplett unterschiedlicher Bewusstseins- und Interessenslagen. Worum ging es hier? Das karrierebezogene Abwägen von Ansehen oder Schmach für das wissenschaftliche Renommee durch die Repräsentation in den Medien? Die alte Grundsatzdiskussion um das dumme Internet und das böse Google? Das Zurechtschneiden wissenschaftlicher Inhalte auf die Passform – quick and dirty – eines auf Gewinn orientierten und sich von der Konkurrenz durch Originalität absetzenden Medienapparats? Den Erfolgsdruck unserer ökonomisierten Welt, der darauf drängt, auch Wissenschaftler oder gar Ideen in brands zu verwandeln, um sie besser verkaufen zu können? Zwischenzeitlich hatte ich es vergessen.
Hängen geblieben ist dreierlei: Bildung ist mehr als Bildung für den Arbeitsmarkt. Der Begriff Selbstverständnis wird gerade im Vergleich mit anderen Wissenschaften auf Nutzen reduziert. Und Authentizität im Sinne „subjektiver Wahrhaftigkeit“ (U. Poschardt) lässt sich prima verkaufen.

Sonntag, 20. Juni 2010

Gespräch mit Prof. Dr. Joachim Fiebach und Prof. Dr. Frank Hörnigk (von Antje Paul, Schnitt: Manuel Paul)












Am 26. März 2010 fand unser Gespräch mit dem Theaterwissenschaftler Prof. Dr. Joachim Fiebach und dem Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Frank Hörnigk im Heiner Müller Archiv in Berlin-Mitte statt.
Ausgangspunkt war das Werk des Dramatikers Heiner Müller, aus dessen reichem Material unser Denkansatz und Projektname "Inseln der Unordnung" stammt.
Die beiden Professoren hatten viele Berührungspunkte: Beide lehrten an der Humboldt Universität Berlin, waren Teil der DDR Geschichte wie auch Heiner Müller und mit ihm und seinem Werk durch Freundschaft und Arbeit verbunden. Frank Hörnigk wurde der Herausgeber Müllers Werke im Suhrkamp Verlag. Joachim Fiebach publizierte im Nachwendejahr 1990 unter dem Titel "Inseln der Unordnung" fünf Versuche zu Müllers Theatertexten.
Inmitten Müllers Bibliothek und Teilen seines früheren Interieurs bewegten wir uns mit den Müller-Experten drei Stunden diskursiv entlang Müllers Gedanken zwischen Realität und Utopie von den Anfängen der DDR bis in unsere Gegenwart.
Ein Zusammenschnitt des Gesprächs in vier Teilen soll einen Einblick geben und einzelne Punkte inhaltlich strukturieren.

(Am 30. Januar 2016 verstarb Prof. Dr. Frank Hörnigk.) 

Das Prinzip „Inseln der Unordnung“ und Heiner Müller



Das Denkprinzip „Inseln der Unordnung“ verortet Frank Hörnigk als: „grundsätzlichen Denkansatz der Moderne der Destruktion des Gegebenen“. In Müllers Texten vollziehe sich diese Destruktion als „subversives Spiel auf dem Theater“ gegen Ordnungsprinzipien und Status Quo. Müllers Texte kennzeichnen den Versuch, Widersprüche in der Geschichte sichtbar zu machen. Seine Ästhetik misst sich nicht an postmodernen Diskursen, sondern an wirklichen Verhältnissen, wie Hörnigk festhält. Diese Verhältnisse finden sich in der Wirklichkeit des realexistierenden Sozialismus der DDR. Joachim Fiebach erklärt, dass hier die Idee von Chancengleichheit auf einen „paranoiden Ordnungsstaat“ trifft, in deren Spannungsfeld sich Müllers Texte u.a. bewegen. Was bleibt, sind Lücken im System.
Ein universeller Denkansatz, der sich ebenso an Symptome der Gegenwart anlegen lässt.

Arbeit ohne Hoffnung: Utopie in der DDR und bei Heiner Müller



Die Idee des Sozialismus mit Chancengleichheit als kleinsten gemeinsamen Nenner wurde vom DDR-Staat propagiert, aber an wichtigen Punkten in der Realität nicht verwirklicht, erklärt Fiebach. Utopie wurde begrifflich zu Perspektive und Plan. „Die selbstillusorische Erfahrung einer Gesellschaft, die auf den Traum hoffte“, so Hörnigk, traf auf die „Unerträglichkeit“ einer Realität, in der die Zeit des Subjekts der Zeit der Geschichte gegenüberstand. Müllers Satz aus „Der Bau“ (1963/64): „Ich bin der Ponton zwischen Eiszeit und Kommune“, mache deutlich, dass jenes propagierte Versprechen nicht morgen einzulösen sei. Doch gerade in der Kraft, diese Strecke auszuhalten und „ohne Hoffnung zu arbeiten“, läge das utopische Potential, was auch in Müllers Texten verwandelt wird. Utopie bzw. gerade ihre Abwesenheit hat dort „die Dimension einer ästhetischen Metapher, an der ein politscher Diskurs festgemacht werden kann, stellt Hörnigk heraus. Auch heute noch.

Utopie und Gegenwart: Anatomie

Spätestens mit dem Wegfall der sozialistischen Idee 1989 ist die Perspektive einer Alternative und damit das Prinzip Utopie verschwunden. Die Theorie der Posthistoire spricht an dieser Stelle vom Ende der Geschichte. Die Zeit existiere nicht mehr in der Dimension von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern kollabiere in ihren beiden letzten Teilen zu einer kompakten Gegenwart. Die Vergangenheit verschwinde ganz. Fiebach beobachtet, dass eine Folge die allgemeine Verflachung der Gegenwart ist. Neue technologische Prozesse und die audio-visuelle Medienmacht trügen zu dieser Tendenz mit subtilen Mitteln bei. Es sei Anatomie zu leisten, die Widersprüche aufdeckt und Gegenwart seziert.

Utopie und Gegenwart: Neue Widersprüche


Konsum als eine in die Gegenwart käuflich reduzierte Vorstellung von Utopie und allgemeine Inhaltslosigkeit fordern eine „Kunst, in der es noch um irgendetwas geht“, heraus. Heiner Müller machte solche Kunst.

Die Welt in 100 Jahren – Zukunftsvisionen und Gegenwart vom vernetzten Leben (von Antje Böhme)



"Das vergangene Jahrhundert hat mit Rekorden von Zeitgewinn geprahlt, seine Schicksale durch Ortlosigkeit erfahren. Die Bilder, von denen das 20. Jahrhundert seit seinem Anfang gleicherweise begeistert, hingerissen und schikaniert worden ist, waren Zukunftsvisionen. Die Beschleunigung und technische Perfektionierung der Verkehrsverhältnisse auf dem gesamten Globus haben das Denken und die Empfindungswelt radikal auf die Zukunft hin orientiert." (Topos Raum, 2004, S. 9)
Die technologischen Errungenschaften treiben die globale Vernetzung, von der schon in Zukunftsvisionen der Vergangenheit in verschiedenen Versionen die Rede ist, stetig voran und verändern damit maßgeblich die Zukunft von Politik und Gesellschaft.


Donnerstag, 15. April 2010

Einführende Literatur zum Thema Zukunftsvisionen

A. Brehmer (Hg.), Die Welt in 100 Jahren mit einem einführenden Essay von Georg
Ruppelt, Nachdruck der Erstausgabe von 1910, Hildesheim 2010.
D. Dinello,
Technophobia! Science Fiction Visions of Posthuman Technology, Austin
2006.
B. Felderer (Hg.),
Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der
Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert, Wien u.a. 1996.
J. Fuhse (Hg.),
Technik und Gesellschaft in der Science Fiction, Berlin 2008.
K.-U. Hellmann/A. Klein (Hg.),
Unendliche Weiten ... Star Trek zwischen
Unterhaltung und Utopie, Frankfurt am Main 1997.
S. Päch,
Utopien. Erfinder – Träumer – Scharlatane, Braunschweig 1983.
A. Steinmüller/K. Steinmüller,
Visionen 1900, 2000, 2100, Hamburg 1999.
R. Saage,
Utopie und Science Fiction. Versuch einer Begriffsbestimmung, in: Ders.:
Innenansichten Utopias, Berlin 1999, S. 144-155.


Vortrag auf der re:publica 2010

Vortrag im Rahmen des Workshops "Jean Luc und die Singularität vorm falschen Fenster":
Die Welt in 100 Jahren - Zukunftsvisionen und Gegenwart vom vernetzten Leben


Wer: Antje Böhme, Anne Wizorek, Sebastian Sooth
Wann: 16. April 2010, 11 Uhr
Wo: Kalkscheune Berlin, Workshop1
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Montag, 1. Februar 2010