Freitag, 22. Juli 2011

Harald Juhnke verschwindet (von Manuel Paul)

Foto: Sir James at de.wikipedia


















Wolken ziehen auf über dem Ku'damm und schwülwarme Windböen peitschen
durch die Straßen. Was sie mitbringen, ist Staub und Dreck von Abriss-
und Neubaustellen.
Harald Juhnkes vergilbte Restaurantwerbung ist verschwunden und mit
ihr das letzte bisschen Charme des Ku'damm. Hier wird nach dem Abriss
neu gebaut. Neue Geschäfte. Die Visualisierung des Neubaus zeigt
helle Fassaden und viel Glas. Wer hätte das gedacht? Transparenz ist
eben nur beim Betrachten von Ware erwünscht. Die Straßen sind
vollgestopft mit Touristen und Einkaufstaschen, die für sie sprechen.
Harald Juhnke ist schon ein paar Jahre tot, und schlimmer als er kann
man wohl nicht zu Grunde gehen. Also ohne Entourage, Bodyguards und
einer Horde Stylisten und Marketingberater. Als Mensch eben. Im Bild
des neues Ku'damms wird er keinen Platz mehr haben, so wie diese größte
aller Schwächen - das Mensch sein - heute keinen Platz mehr hat. Hier
gibt es nur noch die Oberflächen. Von allem nur noch die Oberflächen -
auch von Abgründen.
Wie wird wohl Robbie Williams eines Tages abdanken? Wer wird der neue
Heath Ledger? Und wie lange macht es Amy Winehouse eigentlich noch?
Im Grunde genommen müsste man diesen Gescheiterten dankbar sein. Sie
zerbrechen die Hochglanzoberfläche. Doch auch dieser Bruch ist ein
oberflächlich gespiegelter. Ist nur eine weitere Schlagzeile auf dem
Weg zum nächsten Zusammenbruch oder "Tod durch Herzversagen".
Herzversagen trifft es wohl am besten. Das Herz der Stadt will der
Ku'damm sein, doch Städte haben keine Herzen. Menschen haben Herzen.
Die Frage ist doch, was bietet eine Stadt für die Menschen außer
Möglichkeiten zum Konsum? (Man stelle sich den Ku'damm ohne Geschäfte
vor.) Doch auch hier wird früher oder später der Putz abblättern,
werden sich Risse in den Fassaden abzeichnen und der moderne Mensch
wird sich die Nase über alles Altbackene, Unstyleische, Dreckige und
Abgeranzte rümpfen. Niedergehende Architektur ist allerdings keine
Schlagzeile wert, niedergehende Menschen schon.
Also, lebe wohl Harald. Sicher hängst du jetzt an einer ordentlich
geweißten Wand mit nichts um dich als Weiß. Bist Kunstwerk
und wirst nie wieder Mensch.

Samstag, 9. Juli 2011

Der Wald ist für die Menschen da (von Manuel Paul)

Dass der Wald den Menschen nutzt, ist unbestritten, trotzdem erinnert uns die Kampagne des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz nachdrücklich und ausschließlich an den Nutzen für den Menschen und folgt so der Logik des Wettbewerbs, wonach nur das Recht auf Bestand hat, was Nutzen hat.




Doch bestehen die beworbenen Nutzen überhaupt noch?

Die Gebrüder Grimm wären ohne den Wald sprachlos und Hänsel und Gretel, Schneewittchen und Rotkäppchen gäbe es nicht, behauptet die Werbung.
Sicher, wir wären um ein paar Geschichten ärmer, aber dient in den Märchen der Gebrüder Grimm der Wald nicht als mysteriöser Ort voller Gefahren und Einsamkeit? Als Versteck für Räuber und Hexen, als ein Ort, an dem man Gefahren überstehen muss und sich verlaufen kann? Der Wald gibt sich in diesen Geschichten also nicht sehr menschenfreundlich und außerdem ist die einzige Imbissbude dort ein Pfefferkuchenhaus.

Auch die anderen Behauptungen der anderen Werbeanzeigen sind irgendwie veraltet und treffen nie den Punkt:
Orang-Utan und Leopard leben doch im Zoo viel besser und lassen sich bei Tiger, Ente & Co. im TV einfacher beobachten. Dass der olle Goethe noch keinen PC hatte und auf Papier schreiben musste, ist auch nicht das Problem unserer Zeit. Seine Werke kann sich heute jeder umsonst auf das Handy, IPad, oder den PC laden. Und überhaupt, braucht man überhaupt Wald, um Papier herzustellen? Beethovens Musikinstrumente kommen längst aus der Retorte und Obelix Wildschwein und das Quellwasser aus dem Supermarkt.

Wie jede Werbung versucht auch diese es sich einfach zu machen, kommt dabei allerdings so altbacken daher wie ein Nassrasierer mit nur einer Klinge. Die Argumente, die hier ausgespielt werden, treffen das junge Zielpublikum nämlich überhaupt nicht. Die Werbung trifft auf junge Menschen, die extrem gut informiert sind und aus einer Gesellschaft des Überflusses stammen. Junge Menschen, die gelernt haben, dass man mit Geld alles haben und erreichen kann. Allerdings fehlt ihnen das Wissen um den Nutzen des Sozialen und der Kunst. Ihnen fehlen Erfahrungen wie Angst in einer kontrollierten Welt. Sie glauben, alles kontrollieren zu können.

Der Wald allerdings ist ein komplexes Lebewesen wie der Mensch und wie der Mensch Teil der Natur. Stirbt der Wald, stirbt der Mensch, verschwinden die Arten, verschwindet der Mensch. Verlieren die Menschen die selbst erlebten Erfahrungen, verlieren sie ihr Leben.

Wird der Wald zu einem Nutzraum für Freizeit, zu einer Beute für die Industrie und zu einem Arbeitgeber, ist es schlecht um ihn bestellt. Dann muss er nämlich der Logik des Menschen folgen und sich zum Zweck des Konsums begradigen, normieren und einzäunen lassen. Doch der Wald lebt! Er hat die Waldkulturerbe-Kampagne wirklich nicht verdient. Und überhaupt braucht der Wald den Menschen nicht.